Wie viele Medizinprodukte es derzeit in Deutschland gibt, ist nicht genau bekannt. Schätzungen sprechen von etwa 410.000 unterschiedlichen medizinischen Produkten. Jedes Jahr kommen Hunderte oder Tausende von neuen Medizinprodukten hinzu.
Doch mit dem seit 2021 geltenden Medizinproduktegesetz (MPG) der EU gelten neue Standards, Anforderungen und Definitionen. Die neue europäische Medizinprodukte-Verordnung – auch als „Medical Device Regulation“ (MDR) bezeichnet – legt die bei uns geltenden Grundlagen für Produktnutzungen, Produktsicherheit und Prüfverfahren fest. In Deutschland wurde das neue Medizinprodukterecht mittels Durchführungsgesetz zu deutschem Recht. Die Medizinprodukteverordnung der EU ist somit auch bei uns bindend und verpflichtend geworden.
Die Veränderungen, die durch die neue Medizinprodukteverordnung in Kraft treten, sind gravierend. Von nun an müssen alle am Medizinbetrieb beteiligten Instanzen die neue Verordnung kennen und die überarbeiteten Anforderungen an Medizinprodukte verinnerlicht haben. Das Inverkehrbringen neuer Medizinprodukte wird deutlich komplexer. Die Durchführung des Medizinprodukterechts wird durch strenge Prüfungen und behördliche Überwachung sichergestellt.
Was umfasst das Medizinprodukterecht? Was regelt es?
Die Kardinalfrage, die hier gestellt wird, lautet: Was ist eigentlich ein Medizinprodukt – und was nicht? Per Definition handelt es sich immer dann um ein Medizinprodukt, wenn ein Produkt einer medizinischem Zweckbestimmung folgt. Gemeint ist jedoch die physikalische Seite des Medizinbetriebes. Inhalt und Aufgabe solcher Produkte soll also sein, dem physikalischen Erkennen und Verhüten, der Überwachung, der Behandlung bzw. mindestens der Linderung von Erkrankungen oder Verletzungen zu dienen.
Was ist eigentlich ein Medizinprodukt – und was nicht?
Im Unterschied dazu wirkt ein Arzneimittel pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch. Tabletten oder Injektionslösungen sind also klar erkennbar Arzneimittel. Als Medizinprodukte sind so unterschiedliche Dinge wie Kanülen, Katheder, Kondome, Röntgengeräte, Blutdruckmessgeräte, Sehhilfen, Herzschrittmacher oder Verbandsstoffe einzustufen. Alles, was kein Arzneimittel ist und eine medizinische Anwendung im Interesse von Patienten findet, ist ein Medizinprodukt. So wird es im §3 des Medizinproduktegesetzes (MPG) geregelt.
Alles, was kein Arzneimittel ist und eine medizinische Anwendung im Interesse von Patienten findet, ist ein Medizinprodukt.
§3 des Medizinproduktegesetzes (MPG)
Dieses Gesetz trat bereits 1995 in Kraft. Es beinhaltet den Umgang, das Inverkehrbringen sowie die Nutzung oder Inbetriebnahme von Medizinprodukten. Das Medizinprodukte Durchführungsgesetz (MPDG) regelt ab nun auch die konkreten Anwendungsbereiche solcher Produkte. Das Gesetz dient dem Verbraucher- und Patientenschutz, sowie dem möglichst risikofreien und unbedenklichen Umgang mit Medizinprodukten durch Ärzte, Pfleger und Ersthelfer. Ergänzend und zur Klärung offener Fragen kann die Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV) herangezogen werden.
Die MPBertreibV beinhaltet die Aufgaben und Pflichten von Nutzern und Anwendern von Medizinprodukten. Alle Nennungen von Medizinprodukten, die in den ersten beiden Anlagen der MPBetreibV sowie im Medizinproduktebuch aufgeführt werden, können zur Identifikation von Medizinprodukten und deren Verwendung herangezogen werden.
Was müssen Hersteller oder Startups beachten, die ein Medizinprodukt auf den Markt bringen möchten?
Wenn ein Unternehmen oder Start-up im Medizinbereich das Inverkehrbringen neuer oder neuartiger medizinischer Produkte erwägt, ist es gemäß §5 MPG für die Einhaltung aller neuen Verordnungen und Gesetze verantwortlich. Ohne ein CE-Zeichen darf kein medizinisches Produkt mehr in Betrieb genommen werden. Das CE-Siegel wird erst nach einem erfolgreich absolvierten Konformitätsbewertungsverfahren verliehen. Bei medizinischen Produkten der Klasse I darf der Hersteller das Konformitätsbewertungsverfahren ausnahmsweise in Eigenregie durchführen.
Ansonsten sind für alle anderen Medizinprodukte detaillierte Prüfungen und Zertifizierungen durch ein unabhängiges Prüfinstitut vorgeschrieben. Sobald das Inverkehrbringen eines neuen Medizinproduktes erfolgt ist, liegt die Verantwortung dafür zu 100 Prozent beim Betreiber oder Eigentümer. Sie liegt nicht mehr beim Hersteller. Gemeint ist damit jene Person oder Institution, die das Gerät besitzt und benutzt – also beispielsweise eine Klinik oder Arztpraxis. In beiden Fällen gibt es jedoch verschiedene Nutzer für das Produkt.
Jedoch gilt: Nicht die Anwender, sondern der Betreiber bzw. Eigner des Medizingerätes hat für dessen ordnungsgemäßen und uneingeschränkt funktionstüchtigen Zustand zu sorgen. Zudem müssen die Betreiber von Medizingeräten sicherstellen, dass die verschiedenen Anwender die notwendige Sachkunde für deren Nutzung besitzen. Das bedingt eine fachkundige Einweisung für alle zukünftigen Nutzer des Medizinproduktes. Die Unterweisung muss vor der Inbetriebnahme neuer Medizinprodukte erfolgen.
Zudem müssen die Einweisungen gegebenenfalls wiederholt werden. Sie bedürfen einer Ergänzung, wenn sich an einem Medizinprodukt etwas ändert. Zudem kann sich auch am Verhalten der Nutzer etwas ändern. Das kann in der Folge zu Bedienungsfehlern führen. Die Einweisung in neue Medizingeräte muss schriftlich in einem Medizinproduktebuch dokumentiert werden. So schreibt es die Medizinproduktebetreiberverordnung (MPBetreibV) in Paragraf sieben vor.
Bei schwerwiegenden Fehlern oder Störungen an einem Medizinprodukt, die die Gesundheit von Patienten oder gar ein Menschenleben gefährden könnten, ist umgehend das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) zu informieren.
Sonderfälle, die das Medizinproduktegesetz betreffen
Unter bestimmten Bedingungen und Voraussetzungen gelten bestimmte Sonderregelungen. Diese legt das Medizinproduktegesetz genau fest.
So darf beispielsweise ein Medizinprodukte ohne die vorgeschriebene CE-Kennzeichnung verwendet werden – aber nur, wenn es sich dabei um eine Sonderanfertigung für einen bestimmten Mediziner handelt. Es muss sichergestellt sein, dass nur dieser Mediziner die Sonderanfertigung nutzen wird. Das gilt beispielsweise für individuell erstellten Zahnersatz, der von einem Zahnarzt eingepasst wird. Das neue MPDG hat diese Sonderregelungen übernommen.
Die Anforderungen an eine klinische Bewertung von Medizinprodukten umfassen die Feststellung und den Beleg für die der Leistungsfähigkeit und Sicherheit medizinischer Produkte. Zudem muss eine detaillierte Risikoanalyse durchgeführt werden. Die Risiken bei der Nutzung von Medizinprodukten müssen auf ein Minimum zurückgeschraubt werden. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis muss für die Patienten positiv ausfallen. Liegen bereits genügend belastbare Daten zu solchen Medizinprodukten vor, muss nicht unbedingt eine Studie zur klinischen Bewertung solcher Produkte durchgeführt werden.
Verallgemeinernde Aussagen, die im Vergleich mit ähnlichen Medizinprodukten getroffen werden, sind nicht zulässig. Vielmehr erfordern Medizinprodukte aufgrund ihrer Verschiedenartigkeit eine individuelle Betrachtung. Sie bedürfen einer detaillierten Überprüfung durch klinische Studien, detaillierte Prüfpläne und fachlich kompetente Prüfärzte. Wie beispielsweise bei den anstehenden TTIP-Verhandlungen mit solchen Regelungen verfahren wird, wenn es um ausländische Medizinprodukte geht, ist noch strittig. Bisher gibt es dafür keine konkreten Vereinbarungen.
Inwieweit benötigt man spezialisierte Anwälte? Was haben/brauchen diese für Expertise/Erfahrung/Qualifikation?
Insgesamt sind die Anforderungen an Hersteller und Inverkehrbringer von Medizinprodukten so hoch, dass kaum eine beteiligte Partei mehr ohne rechtliche Unterstützung auskommt. Das hat dazu geführt, dass es eine wachsende Zahl an Kanzleien gibt, die sich auf Medizinrecht und Medizinprodukterecht im Detail spezialisiert haben, siehe etwa exemplarisch Kanzleien wie albus.legal.
Rechtliche Besonderheiten und Schwierigkeiten gibt es aber nicht nur bei der Zulassung und Inverkehrbringung von Medizinprodukten, sondern auch im Einsatz. Besonders speziell wird es z.B. im sogenannten „Off-Label-Use“ von Medizinprodukten – also dem Einsatz bestimmter Medizinprodukte für andere Zwecke als den eigentlich gedachten.
Medizinisch und ethisch problematisch können beispielsweise Heilversuche mit noch nicht zugelassenen Medizingeräten sein, mit denen ein Facharzt schwerkranken Patienten Linderung verschaffen möchte. Solche Heilversuche dürfen nicht den Charakter von medizinischen Experimenten haben. Sie dürfen nur in Notfällen und aufgrund begründeter Annahmen über den möglichen Erfolg der Maßnahme erfolgen. Die Rechtslage ist diesbezüglich komplex. Hier vermischt sich nämlich das Medizinprodukterecht mit anderen Rechten: dem Arzt-, dem Haftungs- oder dem Werberecht.
Da hier eine „Risikoverantwortungs-Gemeinschaft“ aus Betreibern/Herstellern, Medizinern und Patienten entsteht, kann der Hersteller von Off-Label genutzten Medizingeräten aus der Produkthaftung nicht entlassen werden. Dem behandelnden Arzt kommt bei solchen „Compassionate Uses“ in Form eines individuellem Heilversuchs ebenfalls eine besonders hohe Verantwortung zu. Die Hersteller von Medizinprodukten unterliegen für zulässige Off-Label-Einsätze ihrer Medizingeräte besonderen Informationspflichten.
Die Beachtung der Inhalte, die im Medizinproduktegesetz sowie im Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz festgelegt wurden, ist sowohl von Seiten der Medizingeräte-Hersteller wie auch der Betreiber und Anwender höchste Aufmerksamkeit zu schenken. Das Wohl der Patienten hängt davon ab. Bei Verstößen müssen diejenigen, die diese zu verantworten haben, mit hohen Geldstrafen oder – in schweren Fällen – mit mehrjährigen Freiheitsstrafen rechnen. Es ist in solchen Fällen unerlässlich, eine Kanzlei für Arbeits- und Medizinrecht an der Hand zu haben.
Ein erfahrener Rechtsanwalt oder Fachanwalt, der auf medizintechnischen Arbeitsschutz und eventuelle zivilrechtliche- oder strafrechtliche Konsequenzen spezialisiert ist, ist hilfreich. Da aber auch ethische Fragen, ärztliches Berufsrecht oder Fragen der Produktsicherheit in einem Off-Label-Einsatz berührt werden können, sind Hersteller und Betreiber von Medizingeräten gut beraten, wenn sie neben fachkundigen Anwälten auch „Regulatory-Affairs“-Spezialisten bzw. Personen in den Prüfprozess einbinden, die als „Responsible for Regulatory Compliance“ mit entsprechendem Fachwissen für das Unternehmen tätig sind.
Die Inhalte der Medizinprodukteverordnung müssen vor jeder Chargenfreigabe umgesetzt werden. Dieser Prozess umfasst die Konformitätsprüfung der Produkte, die technische Dokumentation und die Konformitätserklärung gemäß der neuen EU Verordnung. Die grundlegenden Anforderungen der Medizinprodukteverordnung wie etwa Berichts- und Meldepflichten sowie detaillierte und akkurat dokumentierte Prüfberichte müssen erfüllt werden.
Quellen:
- https://de.wikipedia.org/wiki/Medizinproduktegesetz
- https://de.wikipedia.org/wiki/Medizinprodukterecht-Durchf%C3%BChrungsgesetz
- https://de.wikipedia.org/wiki/Verordnung_(EU)_2017/745_%C3%BCber_Medizinprodukte
- https://www.service-medical.de/was-regelt-das-medizinproduktegesetz/
- https://academy.technikum-wien.at/ratgeber/was-regelt-das-medizinproduktegesetz/